Innenhof in Barcelona

Elena Rudolph - Erfahrungsbericht aus Barcelona, Spanien

Innenhof in Barcelona
Foto: Elena Rudolph

Elena

Foto: Elena Rudolph

Haben Sie denn Sorge darüber, dass Sie kein Katalanisch sprechen?
So oder so ähnlich, lautete eine Frage im Interview des IDEAS-Stipendiums. Ich verneinte, mit der Begründung, dass ich bereits in Galizien lebte, wo die Locals neben dem kastilianisch noch gallego sprechen. Doch zu der Regionalsprache der spanischen, autonomen Gemeinschaft Kataloniens hatte ich mir bis dahin noch wenig Gedanken gemacht. . Noch weniger machte ich mir im Vorfeld Gedanken über die Kunst, die Gastronomie und die Geschichte. Ich war der Ansicht, dass ich genug über "Spanien" weiß, um mich dort zurechtzufinden. Aber diese nüchterne Sicht sollte sich durch meinen Auslandsaufenthalt in Barcelona ändern. Ich heiße Elena Rudolph und studiere Spanisch und Philosophie auf Lehramt.

Die Metropole ist bekannt als wirtschaftliches, kulturelles und politisches Zentrum Kataloniens und das schon seit Beginn seiner Geschichte. Das kulturelle Angebot der Stadt Barcelona lädt täglich zu einer Überflutung der Sinne ein. Die Stadt stinkt und duftet, sie dröhnt und schweigt, sie lädt ein und vertreibt. Manchmal schmeckt sie besonders gut und manchmal zu fischig (für meinen Geschmack). Alles wird optisch begleitet von Menschenmassen, Fortbewegungsmitteln jeglicher Art, Tauben und Möwen, die sich alle gleichsam durch die Gassen und über die Plätze jagen, um ihr Bestes aus der Stadt zu ziehen. So würde ich auch mein Wohnviertel beschreiben: Das Raval. Das Zimmer habe ich kurzfristig über die Webseite "spotahome.com" gefunden. Da ich im Zentrum lebte, war ich nur einen Fußweg von meinen Fakultäten der "Universitat Barcelona", den Bars und dem Strand entfernt. Dies erwies sich mit der Zeit als Segen und Fluch zugleich. Die Preise sind höher, die Läden haben länger auf, ich trug stets Kleingeld mit mir herum, wonach obdachlose Menschen regelmäßig fragen (das Stipendium ist großzügig und ich war es auch), und es ist–immer–voll.

 

Elena mit Freunden

Foto: Elena Rudolph

 Die Uni war ein Kontakt-Hotspot. Da ich kontinuierlich Prüfungen (evalución continua) schrieb und der Leseaufwand immens war, sind die Vorlesungsbesuche und das tägliche Vor- und Nachbereiten in der Bibliothek Priorität gewesen. So fand ich die meisten meiner Freund*innen in den Hörsälen oder in der Bibliothek. Was mir aber früh aufgefallen ist, sind die Schwierigkeiten, katalanische, oder generell spanische Freundschaften zu schließen. Mein Freundeskreis vertrat einige europäische und vor allem lateinamerikanische Länder, aber Locals zu treffen, schien nicht selbstverständlich.

Ich hatte das Glück, dass ich vorher bereits einen Barcelonés kannte und ihn in Barcelona zum ersten Mal treffen sollte. Camil war nicht nur für seine Wurzeln in der Stadt bekannt, sondern darüber hinaus auch für seine Musik. Er studiert an der ESMUC Musik und spielt jeden Dienstag in der Makinavaja zum Jazz-Jam Kontrabass. Dieser Ort sollte mir als ein Zugang zu den Katalan*innen dienen. Die Bar ist unscheinbar und scheint geschlossen, wenn man sie nur zufällig passiert. In dem Hinterraum, in dem geraucht werden darf, drängen sich wöchentlich junge und inspirierende Menschen, auf Stühlen stehend und auf dem Boden sitzend, um dem Jazz zu lauschen. Nicht einmal die Musiker*innen haben Platz. Jeder kennt jeden. Es wird nur catalan (oder castellano) gesprochen. Überall wird gegessen, getrunken und geraucht. Die Musik wird von den Zuschauenden beklatscht und bejubelt. Von diesem Tag an ging ich mit oder ohne meine Freund*innen jeden Dienstag in die Makinavaja. Camil zeigte mir weitere versteckte Orte mit guter Musik, leckerem Essen und günstigem vermú. Andere entdeckte ich alleine. Der Trick hierbei ist, sich zu sagen: "Je bescheidener der Ort erscheint, desto authentischer ist das Essen". Nach der Hälfte meines Aufenthalts kannte ich das Raval sehr gut, sodass ich später sogar meinen katalanischen Freund*innen neue Orte zeigen konnte und den Rest der Stadt ausreichend, um mir eine Orientierung zu verschaffen.

 

Blick über Barcelona

Foto: Elena Rudolph

Nachdem ich im Dezember fast alle finalen Prüfungen geschrieben hatte, fing ich an, den Norden, Badalona und Girona und den Süden, Tortosa und Tarragona zu erkunden. Die Zugfahrten sind besonders empfehlenswert, da Spaniens Renfe-Züge Pünktlichkeit und Komfort bieten und die Küstenfahrten wunderschöne Ausblicke versprechen. Durch eigene Recherche, viele Gespräche und lange Museumsbesuche wurde mir so langsam klar, in was für einer politischen und traditionsbewussten Gemeinschaft ich mich befinde. Mir scheint, als sei es als Catalán schwierig, nicht politisch zu sein. In meinem letzten Monat befasste ich mich mehr mit der Geschichte der Region und ihrem Wunsch zur Autonomie. Zu meinem Erstaunen spürte ich zum ersten Mal, wie wenig ich über Katalonien weiß und wie sehr ich Barcelona als dessen Mittelpunkt unterschätzte. Die Stadt ist voll von politischen Bewegungen und sozialem Engagement. Sie spiegelt die katalanische Gesellschaft als organisierte Einheit und ihre Muttersprache catalán als ihre Überlebensbedingung wider. Ich realisierte nicht nur, das ich bald zurück nach Deutschland kehren muss, sondern auch dass ich eine Chance verpasste, die Sprache von Anfang an zu lernen und konsequent zu sprechen, die Traditionen zu praktizieren und die Leute davon zu überzeugen, dass ich nicht einfach ein [gidi] (so werden die Touris genannt) bin. Endlich kannte ich Katalan*innen und konnte mich kaum vor Neugier auf ihre politischen Vorstellungen und die sprachlichen und kulturellen Eigenheiten halten, da war meine Zeit schon fast vorbei. Endlich–nach meinen Prüfungen– hatte ich die Freiheit, den Großstadtdschungel zu durchforsten, die Berge und die Sehenswürdigkeiten zu betrachten, da musste ich schon von den ersten Menschen Abschied nehmen. So sehr es schmerzt, diese Chance–diese fünf Monate– nicht von Anfang an dazu genutzt zu haben, Katalonien rechtmäßig zu erkunden, komme ich wertschätzend und mit einem Koffer neuer Fähigkeiten und Ideen zurück nach Deutschland, sodass ich ehrlich sagen kann:

Ich kann es kaum erwarten, wiederzukommen und die Zeit und das Interesse mitzubringen, welches Katalonien und vor allem Barcelona verdient hat. Ich kann es kaum erwarten Katalanisch zu lernen, um den Locals näher zu kommen und die Kultur zu erhalten. Ich kann es kaum erwarten, zu politischen Aktionen zu gehen, um Menschenrechte und Lebensräume zu verteidigen. Ich kann es kaum erwarten meine Freund*innen wieder zu sehen und zuletzt einen Teil dieser Gesellschaft zu formen. Barcelona ist nicht nur eine Metropole, sondern zuerst das Herz Kataloniens. Wenn auch du die Chance hast, ein Teil der einzigartigen Kultur und Gemeinschaft zu sein, verpackt in ein Großstadtleben, das sich in alle Extreme ausbreitet: Lern catalán! Schau Dokumentationen über die politische Entwicklung der autonomen Region! Probier die Tavernen aus, die dunkel und schäbig erscheinen! Geh auf Demonstrationen und in Museen! Geh nach Barcelona! (Und glaub niemals du weißt genug über "Spanien")

Elena

Foto: Elena Rudolph